Um uns für etwas einzusetzen, müssen wir erst einmal die Lage kennen und gründlich verstehen. Das kann wehtun, und wenn es um die bedrohliche Lage der Erde und ihrer zerrütteten Lebenssysteme geht, tut es wirklich weh. Aber wir dürfen uns nicht verschließen gegenüber dem Schmerz der gerodeten Wälder, vergifteten Insekten und gequälten Wale. Aus diesem Schmerz und dem berechtigten Zorn können wir Kraft gewinnen, und Schmerz und Zorn werden unsere Liebe zur Schöpfung vertiefen.
Auch Trübsal und Verzweiflung sind Gefahren auf dem Weg. Aber sie führen zu nichts. Wer denkt, das Leben hätte schon verloren, und die Hände in den Schoß legt, hat auch einen Einfluss auf die Situation: als self-fulfilling prophecy des Untergangs. Aber Angst ist nie ein guter Ratgeber! Nur Liebe kennt keine Angst, der Weg ist der Weg mit Herz – aber einer, der nicht die Augen verschließt, sondern immer Empathie mit alles Wesen hat, auch den nicht-menschlichen.
Wagen wir also einen kurzen Blick auf die drei größten Bedrohungen das Lebens, wie wir es kennen.
Klimazerrüttung
“Klimawandel” ist ein romantisierender Begriff, der in der öffentlichen Diskussion längst nichts mehr zu suchen hat. In wissenschaftlichen Arbeiten ist bereits seit 2018 von climate disruption, Klimazerrüttung, die Rede. Die Stadt Los Angeles und das britische Parlament sprechen inzwischen von “Klimanotstand”, genauso wie Patricia Espinosa, die Generalsekretärin der UN Klimarahmenkonvention. (1) Währenddessen nehmen die weltweiten Emissionen weiterhin zu!
Der letzte Bericht des Weltklimarates (IPCC) ist schon besorgniserregend genug, berücksichtigt jedoch weder alle Emissionen (z.B. die Freisetzung riesiger Kohlenstoffmengen durch fehlende Bodenpflege in der industriellen Landwirtschaft) noch gravierende Rückkoppelungseffekte wie z.B. die Tatsache, dass eine Hitzewelle wie die vom Sommer 2018 und anhaltende Trockenheit zu deutlich weniger Pflanzenwachstum führen. Dadurch wird noch weniger CO2 gebunden als normal, was die Erderhitzung weiter anfacht.
Zu allem Überfluss sind die Kipppunkte in den Lebenssystemen des Planeten Erde in den Prognosen gar nicht berücksichtigt, da kein Mensch weiß, wann sie sich ereignen. Ein Kipppunkt ist der Beginn einer Kettenreaktion, auf die wir keinen Einfluss mehr haben, wenn sie erst einmal in Gang kommt. Wenn z.B. der Amazonas-Regenwald “kippt” (was für ca. 2040 erwartet wird), wird nicht nur weniger CO2 aus der Luft gefiltert, sondern durch die Zersetzung der toten Bäume sogar noch welches abgegeben! Und zwar riesige Mengen. Außerdem erzeugt der Amazonas immer noch 20% des freien Sauerstoffs der Welt. Ohne ihn wird die Luft für uns dünner. Und durch sinkenden Sauerstoffanteil sinkt auch die Luftdichte, was wiederum die Luftfeuchtigkeit und damit die Niederschlagsmengen erhöht und zu wärmeren Temperaturen führt.
Solche kaskadenartigen Reaktionsketten gibt es auch beim Meerwasser, bei den Eisdecken der Pole, bei den Korallenriffen und in vielen anderen Ökosystemen. Völlig blind spielen wir mit dem Feuer.
Artensterben
Ökosysteme sind um so stabiler, je mehr Arten sie enthalten. Artenvielfalt (“Biodiversität”) ist nicht nur ein Luxus der Natur, sie ist eine existentielle Sicherheitsmaßnahme, um den Fortbestand des Lebens zu gewährleisten. Das Leben ist überreich – und muss das auch sein! Wenn sich das Leben auf einem Planeten behaupten soll, muss es in Zahl und in Vielfalt stark sein. Nur sobald das Leben üppig genug ist, um erhebliche Auswirkungen auf die Ökosphäre zu haben, kann es diese beeinflussen und ihre Lebensfreundlichkeit noch erhöhen. Über Hunderte von Jahrmillionen haben Mikroorganismen die Zusammensetzung des Meerwassers und der Atmosphäre “entgiftet”, damit sich Pflanzen und Algen entwickeln konnten. Und diese haben über ebenso große Zeiträume CO2 aus der Luft gefiltert und die Atmosphäre mit Sauerstoff angereichert, so dass sich Tiere (und auch der Mensch) entfalten konnten.
Immer noch greift in den Ökosystemen der Welt eines ins andere. Wölfe oder Luchse sind nicht der Schrecken von Rehen, sondern halten deren Genpool gesund und munter, indem sie vorwiegend die kranken Tiere aussondern. Oder wäre es vielleicht besser, wenn ohne sogenannte “Raubtiere” die anderen Wildtiere langsame, qualvolle Tode sterben würden? Auf ähnliche Weise sind auch Haie wichtig in den Ökosystemen der Meere. Wale wiederum arbeiten aktiv mit am Klimaschutz: Sie ernähren sich in tiefen Wasserschichten von Fischen und Krill, aber kommen dann zur Verdauung in die Oberflächengewässer, die sie “bedüngen”. Das gibt einen enormen Schub für pflanzliches Plankton, das CO2 aus der Luft aufnimmt. Auf dem Höhepunkt der Walbevölkerung (vor der Ära der Massenmorde durch Walfänger) hat das von ihnen gedüngte Plankton Zigmillionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahr aus der Luft geholt. (2) Zusätzlich tragen Wale durch ihr ständiges Auf und Ab zur Durchmischung der Wasserschichten bei, die u.a. auch für Klimavorgänge wesentlich ist.
Dass auch die Menschheit schwerlich ohne Bienen überleben würde, ist ja inzwischen hinlänglich bekannt. Aber das gilt auch für viele andere Insektenarten, die Pflanzen und ganze Ökosysteme “am Laufen halten”. Und z.B. auch für die etwas unscheinbareren Mistkäfer. In gesunden Amazonas-Regenwäldern gibt es fünf oder sechs Arten von Mistkäfern. Bei der Vertilgung von Dung und Kadavern beseitigen sie auch Parasiten und vergraben Samenkörner. Doch durch die intensive Waldzerstörung wehen nunmehr heiße trockene Winde von den benachbarten Sojafeldern durch die verbliebenen Waldfragmente, und Käfer, Vögel und Tiere werden selten. Ohne Tier- und Vogeldung verschwinden die Mistkäfer, und ohne Mistkäfer werden die wenigen verbliebenen Vögel und Tiere nun oft krank durch Parasitenbefall. Ohne Dung und Käfer keimt auch viele Pflanzensaat nicht mehr, und ohne deren Bewurzelung wird wiederum der fruchtbare Boden durch Wind und Regen schnell abgetragen.
Auch die menschliche Verdauung funktioniert nur aufgrund von Artenvielfalt. Hunderte von Bakterienarten besiedeln den Ökotop unseres Darmes, und machen uns die Verdauung der verschiedensten Nahrungsstoffe möglich. Auch unsere Haut ist dicht besiedelt mit kleinen Freunden, ohne die unser Immunsystem völlig überfordert wäre mit der Invasion fremder Mikroorganismen. Artenvielfalt gehört zum Leben, sie ist ein Grundpfeiler des lebendigen Planeten!
Neben der Artenvielfalt kommt es auch einfach auf die Menge an: Ein einzelner Wal oder eine einzelne Mikrobe können die Welt auch nicht zusammenhalten. Es braucht viele von ihnen. In der Ökologie spricht man von “Biomasse” oder “Fülle”. Seit 1970 hat der Mensch weltweit 60% der Fülle an Wirbeltieren und 83% der Süßwasserlebensräume vernichtet. Was die Fülle an Insekten anbelangt, hält Deutschland einen traurigen Rekord: 76% der Insektenmasse ist seit 1970 verschwunden. Und wo Insekten fehlen, verschwinden auch die Vögel…
Das sechste große Massensterben ist letztendlich auch ein Todesurteil für die Spezies Mensch.
Plastikverseuchung
Nun haben wir den Salat! Vorauszusehen war es ja schon lange, aber niemand wollte hinschauen. Doch im September 2017 war der (Plastik-)Deckel nicht mehr draufzuhalten und flog uns um die Ohren: Mikroskopische Plastikpartikel befinden sich in so gut wie allen Trinkwasservorräten der Welt! Sie finden sich in Stuhl- und Urinproben und im Gewebe – nicht nur von Menschen, sondern praktisch allen Land- und Meerestieren. Plastikpartikel finden sich auch in Meersalz, Honig, Zucker und – nun wird’s ernst, liebes Deutschland – auch in Bier und in Würstchen.
Es wurde bereits eine astronomische Menge an Plastik erzeugt (wovon 79% in Müllhalden, Böden und Gewässern landeten), und jährlich kommen über 300 Millionen Tonnen neu erzeugten Plastiks hinzu. Die Industrie freut sich, denn man erwartet, dass die Neuproduktion weiter exorbitant steigen und 2050 knapp 2.000 Mio. t jährlich erreichen wird, das Sechsfache!
Doch es geht nicht nur um Plastik allein. Im Laufe des Industriezeitalters hat der Mensch ca. 30.000 künstlichen Substanzen geschaffen, von denen nur etwa 1,8% nicht schädlich für uns und andere Lebewesen sind. Diese Substanzen sowie Mikroplastik aller Couleur und einige Schwermetalle lagern sich nicht nur in unseren Organen und Geweben an (“Wir wissen noch nicht, ob das Krebs erzeugt!”), sondern – und das liest man noch nirgends in den deutschen Medien – als Einzelmoleküle docken sie an die DNA in unseren Zellen an. Das behindert wesentliche Zellvorgänge wie die Zellerneuerung, den geordneten Zelltod, den Stoffwechsel, und in der Folge schwächt es unser Immunsystem, führt zu Autoimmunreaktionen, Erschöpfungssymptomen und weitaus Schlimmerem. (3)
Selbst wenn es uns gelingt, die Klimazerrüttung und das Artensterben aufzuhalten, könnte allein die Plastikverseuchung uns in den nächsten Jahrzehnten den Garaus machen.
Und nun? Wir haben die Wahl!
Die Wahl ist ganz klar und einfach: Sind wir bequem, wollen wir an unserem Luxus festhalten, und das Wort “Mittäterschaft” lässt uns kalt? Haben wir genug Lügen und Ausreden parat, damit “alles so weitergehen kann wie bisher”? Dann können wir das versuchen – aber die Wirklichkeit (siehe oben) wird uns in den nächsten wenigen Jahren ohnehin einholen.
Oder aber wir können einfach nicht mehr teilhaben an einer Gesellschaftsform, die es hinnimmt, dass alle Lebewesen und alle Ökosysteme skrupellos ausgebeutet werden. Unser mitfühlendes Herz ist erwacht, wir nehmen unsere innere Ethik, unseren moralischen Kompass wieder in Besitz, und wir erkennen:
Diese große Schande ist des Menschen nicht würdig! Wir können auch anders. Wenn wir das nicht schaffen sollten, ist es auch nicht schade um die Menschheit, wenn sie sich bis zur Jahrhundertmitte selbst auslöscht. Aber es steckt so viel mehr in uns! Die ganze Würde und Schönheit der Natur ist auch in uns verankert. Wir können eine menschliche Gesellschaft schaffen, die anmutiger und nährender ist als alles, was es in der Geschichte jemals gegeben hat! Die wie ein Juwel eingebettet ist in intakten Ökosystemen eines gesunden, rundum glücklichen Planeten.
Fragen Sie Ihr Herz und Ihr Bauchgefühl, wie wir da hinkommen, und worin Ihr Anteil daran besteht. Schritt für Schritt, einer nach dem anderen, gelangen wir freudvoll in die eigene Heilung und die des Planeten.
Nicht nur die Wale werden es uns danken.
Siehe auch den Begleit-Artikel “Verantwortung übernehmen – Für die Erde handeln!”
Fred Hageneder ist ein führender Autor auf dem Gebiet der Ethnobotanik (kulturelle und spirituelle Bedeutung der Bäume) und ein Mitglied der Ecocentric Alliance.
Lesetipp: Fred Hageneder, Happy Planet – Jetzt handeln für eine glückliche Erde
208 Seiten, 10 Euro. Neue Erde
Quellen:
1. Georg Ehring 2019. Abschluss der UN-Klimakonferenz Bonn. Deutschlandfunk, Umwelt & Verbraucher, 27.06.2019.
2. “How Whales Change Climate”. YouTube, https://www.youtube.com/watch?v=M18HxXve3CM
3. Fred Hageneder 2019. Happy Planet – Jetzt handeln für eine glückliche Erde. Saarbrücken: Neue Erde. S. 88–92.
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