Eine Reise in die Innenwelt des Körpers
Hast du schon einmal bemerkt, dass sich eine ganz eigene Melodie durch dein Leben zieht? Dass Lebensentwürfe einem Ton, einem Rhythmus, einem gewissen Klang folgen?
Und hast du schon einmal beobachtet, dass diese Klänge ihre Quelle im Inneren deines Körpers haben? Dass sie in Form sensorischer Botschaften auftauchen? Anhand von Signalen, die dir wortlos mitteilen, ob dein Lebens- oder Bauchgefühl mit Ja oder Nein votiert? Kleine Impulse, die wie aus dem Blauen auftauchen und dich daran erinnern, wo du Dich hingezogen fühlst, was so richtig deinem „Geschmack” entspricht und deineAugen zum Leuchten bringt?
Unser Körper hat uns vieles zu erzählen. Doch wir müssen seinen Signalen und Tonarten, ja, seinem Geflüster lauschen. Wenn uns das gelingt, können uns diese nicht nur beim Gesundbleiben, sondern auch beim Orientieren im Leben helfen.
Wenn wir die inneren Töne zusammenfügen, entsteht eine Melodie. Und diese summt uns durch unser Leben hindurch.
Der Körper als Bedürfnismelder
Das Innenleben des Körpers ist ein höchst aktives, weil in jedem einzelnen Moment unzählige Informationen zwischen den inneren Organen und körperlichen Strukturen über die Bahnen des Zentralen Nervensystems transportiert werden. Während uns ein Großteil dieser Prozesse unbewusst bleibt, ist es jedoch möglich, bestimmte sensorische und sensomotorische Vorgänge zu erfassen. Dazu zählen nicht nur die Atmung, der Herzschlag, die Darmgeräusche oder die breite Palette unserer Empfindungen, sondern vor allem auch unsere aktuellen Bedürfnisse, die sich ständig verändern und melden.
So signalisiert uns der Körper, wenn wir hungrig, durstig oder müde sind, wann wir schwitzen oder frieren. Er vermittelt uns, wann Stress überhandnimmt, uns nach Bewegung, frischer Luft oder Sex zumute ist. Und er flüstert uns zu, wann wir eine Pause, einen klaren Kopf oder das Stillsein brauchen. Der Körper ist unser Bedürfnisanzeiger. Die Fähigkeit, innere Vorgänge wahrzunehmen, wird interozeptive Wahrnehmung genannt.
Wie Psychoneuroimmunologen und Körper-Mind-Mediziner bestätigen, korreliert der Grad der Interozeption mit unserer Bedürfniserfüllung eins zu eins: Je ausgeprägter das Gespür für den eigenen Körper ist, desto feinere Impulse, Botschaften und Bedürfnisse erfassen wir und desto größer ist die Chance, diese zu stillen. Letzteres ist die Grundlage für die körperliche Homöostase im Organismus, welche entscheidend für einen gesunden körperlichen und mentalen Zustand ist. Im inneren Gleichgewicht befindend, brauchen wir uns dann weder um gefühlsbezogene Überhänge noch um Defizite und Mangelzustände zu kümmern. Wir fühlen uns einfach wohl in unserer Haut.
Der Körper liebt das Detail. Und je bewusster wir ihm begegnen, desto feiner nehmen wir ihn wahr.
Der Lautstärke des Verstandes entkommen
Doch genau in diesem Prozess kommt uns oftmals der Verstand in die Quere. Dieser übertönt die perzeptiven Rückmeldungen des Organismus nur allzu schnell, weil er lauter als unsere subtilen Empfindungen ist. So mischen sich die Gedanken sogar in Gefühlsfragen ein und unterminieren, was und wie wir spüren. Selbst dann, wenn das Bauchgefühl Alarm schlägt, uns das Herz schwer wird, die Muskeln mit Anspannung antworten oder ein flaues Empfinden in die Magengrube zieht, geschieht es, dass der Verstand der Entscheidungsträger bleibt. Menschen, die sich über ihren Intellekt definieren, glauben, mit diesem auf der sichereren Seite zu stehen. Sie stufen die Gefühlswelt als zweitrangig ein und treffen selbst gefühlsbezogene Entscheidungen aus dem Kopf heraus.
Doch das sollte überraschen! Schließlich werden uns diejenigen Qualitäten, die das Leben wirklich lebenswert machen, nicht durch den Verstand, sondern durch andere Körperfunktionen wie die des Herzens, des „Bauchhirns” oder der Sinne bewusst. Vorgänge wie das Lieben, das Genießen, das Sich-gut-Fühlen, das Entspannt- oder Erfülltsein können wir nicht erdenken. Während der Verstand seine Berechtigung beim Lösen von analytischen und rationalen Angelegenheiten hat, steht er uns im Weg, wenn es um wahrnehmungsbezogene Prozesse geht.
Es handelt sich also weder um einen Luxus noch eine fakultative Beigabe zum Leben, wenn wir den inneren Signalen des Körpers folgen. Eine ausgeprägte interozeptive Wahrnehmung ist lebensnotwendig und trägt maßgeblich zu unserer Körper- und Seelenhygiene bei. Erst wenn wir mit dem Sensorium des Körpers vertraut sind und unsere gefühlsbezogenen Bedürfnisse und Sehnsüchte erfüllen, haben wir die Chance, mit der persönlichen Innenwelt in einer Kongruenz, ja, im Gleichklang zu sein.
Der Körper ist unser Zuhause. Ein anderes haben wir nicht.
Der Klang jedes Körpers ist einzigartig
Und mehr noch: Wenn es um die Körperwahrnehmung geht, ist es wichtig zu wissen, dass diese eine individuelle, jedem Menschen eigene Angelegenheit ist. So verschieden, wie unsere Körper aussehen, proportioniert sind und sich ausdrücken, so unterschiedlich reagieren sie auch. Und so einzigartig fühlen sie sich an. Das heißt nichts anderes, als dass das, was ein Mensch in sich wahrnimmt, nicht automatisch dem Empfinden eines anderen entspricht. Was dem einen guttut, kann in einem anderen Unbehagen auslösen. Während sich der eine zu alternativen Heilmethoden hingezogen fühlt, ist dieses Empfinden für jemanden, der die konventionelle Medizin bevorzugt, eher fremd.
Darüber hinaus hat jeder Körper seine eigene Biographie, die ebenfalls einen Einfluss auf seine Empfindungswelt hat. Ein Mensch mit verkörperten traumatischen Erfahrungen beispielsweise verfügt über einen anderen Zugang zu seiner Gefühlswelt als jemand, der auf eine heile Geschichte zurückblicken kann. Ein Mensch, der unter jahrelangem Dauerstress steht und seinen Körper ausschließlich im angespannten Zustand erlebt,verfügt über ein anderes Körperempfinden als jemand, dem Stress fremd ist und der sensorisch durchlässig ist. Eine Frau hat eine andere Biologie als ein Mann und unterscheidet sich aufgrund dieser auch empfindungsbezogen von ihm. Die Innenwelt des Organismus könnte von Mensch zu Mensch nicht verschiedener sein. Und genauso differenziert fühlt sie sich auch an.
Sich zu fühlen und wahrzunehmen ist eine individuelle Sache. Sie klingt in jedem Menschen auf ihre ureigene Weise an.
Eine achtsame, körperaffine Lebensweise komponieren
Und so kommen wir wieder zum Melodischen in unserem Leben zurück: Wenn wir dem Geflüster des Körpers lauschen und auf seine Bedürfnisse eingehen, stimmen wir in einen “Einklang” mit den Vorgängen ein. Ins Leben übersetzt, spiegelt sich dieser in einer körperaffinen Lebensweise wider und diese folgt einer ureigenen Melodie. Genau, einer ganz persönlichen Lebensmelodie.
Hand aufs Herz: Und wie klingt deine?
“Wenn wir der Melodie der Innenwelt folgen, wird das Leben leicht.
Ach was. Es wird zu einem Liebeslied!”
Übung 1: Wie klingt deine Lebensmelodie?
Nimm dir ein paar Minuten Zeit zum Besinnen. Lege eine Hand auf dein Brustbein und fühle in dein Körperinneres hinein. Allmählich kannst du deine Augen schließen.
1. Einfühlen
Ermittele nun, ohne lange nachzudenken, wie deine ureigene Lebensmelodie klingt. Klingt sie leicht und luftig? Ist sie freundlich, heiter oder beschwingt? Ist sie leise, getragen, fließend oder laut? Ist sie melancholisch, holperig, traurig, unstet oder zäh? Fühle, wie die Melodie deines Lebens klingt.
2. Komponieren
Sei dir bewusst, dass du die Melodie deines Lebens unentwegt verändern und neu komponieren kannst. Falls du das möchtest: Wie wäre deren neuer Klang?
Übung 2: Sich schnellstens in die Körpermitte beamen
1. Verbinden
Schließe deine Augen. Verbinde dich mit deinem Nabelzentrum, indem du eine Hand auf den Nabel legst und die andere Hand auf dem Rücken genau gegenüber in der Wölbung der Lendenwirbelsäule platzierst. dein Nabelzentrum befindet sich jetzt zwischen deinen Händen. Fühle in dieses hinein und nimm wahr, welche Stimmung dort herrscht. Ist sie entspannt? Ausbalanciert? Flüssig? Freudig? Verdrossen? Verstopft?
2. Die Mitte beatmen
Atme jetzt bewusst und sanft in den Bereich hinein, der zwischen deinen Händen liegt. Beobachte dabei nicht nur die Bewegung, die entsteht, sondern lade den Bauch mit jeder Ausatmung zum Entspannen ein. Wiederhole das so lange, bis du das Gefühl hast, dass dein Nabelzentrum sein größtmögliches Entspanntsein erreicht hat. Wiederhole die Übung, wann immer du willst.
Katrin Jonas ist eine international tätige Körper-Mind-Therapeutin, BodyWareness-Trainerin, Feldenkraislehrerin, Meditationsmentorin und Autorin mehrerer Bücher. Sie gibt ihren Erfahrungsschatz aus über 25-jähriger Berufstätigkeit mit Passion weiter, leitet Seminare, Online-Workshops und BodyWareness-Trainings für Therapeuten, Coaches und Mediziner. Ihr Lebensmittelpunkt ist in London.
Zum Buch “Körpergeflüster. Der persönlichen Lebensmelodie folgen”
“Körpergeflüster” entstand durch die Nachfrage vieler Menschen nach Tools und Ressourcen zur Selfcare, um sich durch die gegenwärtigen Herausforderungen navigieren zu können. So entstand eine Ressourcensammlung aus 48 BodyWareness-und Meditationsübungen, die Interessierten mittels Atemexplorationen, bewussten Bewegungen, Sinneserfahrungen, der Stimme des Herzens, des Bauchgefühls oder der inneren Stille hilft, sich vertrauter und sicherer im Umgang mit ihrem Innenleben zu fühlen. So gelingt es selbst inmitten einer sich verändernden Welt, sensorisch wach und dennoch stabil und geerdet zu sein.
Katrin Jonas, Körpergeflüster
208 Seiten, 18,00 Euro, Innenwelt Verlag
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