“Liebe kennt keine Grenzen. Nur den Weg darüber.”
Ein leichter Luftstrom kitzelt meine Nasenspitze, einzelne Sonnenstrahlen schlängeln sich durch das Dickicht der Bäume und wärmen meine Wangen. In meiner Hand halte ich eine Mappe mit dem Text für Maria. Maria durfte nur 19 Jahre alt werden. Heute verabschieden wir uns in einem wunderschönen Friedwald von ihr, umrahmt vom Zwitschern der Vögel und beruhigender Natur..
Als Trauerrednerin begleite ich regelmäßig Angehörige, die einem geliebten Menschen “Lebewohl” sagen müssen. Natürlich ist das nicht immer eine leichte, aber dennoch sehr erfüllende Aufgabe. Denn ich darf mit meinen Worten Trost spenden und Halt geben. Ein großes Geschenk, wie ich finde. Doch heute fällt es mir schwerer als sonst. Vor mir stehen Marias Eltern, ihre jüngeren Geschwister, ihre Klassenkameraden, ihre Pferdemädels.
Ich blicke in die Gesichter von ca. 50 Menschen, die mich voller Unsicherheit und Trauer anschauen. Das hier ist alles überhaupt nicht zu verstehen und fair schon zweimal nicht. Und doch wird es eben jetzt, in diesem Moment, real. Maria ist gegangen, ungewollt und ungefragt. Schon jetzt fehlt sie.
Ich nehme einen tiefen Atemzug und beginne zu sprechen. Von ihr, ihrer großen Leidenschaft, dem eigenen Garten und ihren vorzüglichen Koch- und Backkünsten. Natürlich findet auch ihre Familie sowie alle Freunde und Wegbegleiter Platz in meiner Rede. Schließlich halte ich, wie ich immer sage, keine Trauer- sondern vielmehr Lebensreden. Ich spreche über das Leben von Maria, über das, was sie ausgemacht hat. Und das ist ganz sicher nicht der Tod. Er ist zwar der Anlass, warum ich spreche, aber nicht der heutige Mittelpunkt.
Mit jedem Satz, der meine Lippen verlässt, werden die beinahe eingefrorenen Gesichtszüge der Angehörigen entspannter, die Mundwinkel formen sich bei dem ein oder anderen sogar zu einem leichten Lächeln. Was sich mit großer Wahrscheinlichkeit zeitnah zu einem breiten Grinsen erweitern wird, denn gleich komme ich zu einer Stelle, die für gewöhnlich selbst die dunkelste Wolke für einen kurzen Moment vertreibt.
Tiere öffnen unser Herz durch ihr bloßes Sein
Nochmal nehme ich einen tiefen Atemzug, rufe mir in Erinnerung, was ich in meiner Ausbildung gelernt habe, um in eben solchen Momenten nicht mit zu weinen. Folgende Zeilen verlassen meine Lippen:
“Doch nicht nur Zweibeiner haben sich in Marias Nähe wohlgefühlt. Auch Vierbeiner wurden magisch von ihr angezogen. Allen voran natürlich ihre Stute Shiva. Nicht nur eine tiefe Liebe verbindet die beiden, sondern auch eine ähnliche Krankheit. Shiva weiß immer, wie es ihrer Maria geht. An schlechten Tagen ist sie ein braves Pony, an guten eine echte Herausforderung. Mit blauen Accessoires und Glitzersteinen stehlen die beiden jedem die Show. Was für ein wunderbares Gespann.”
Tränen laufen über die Wangen all derer, die ich erblicken kann. Tränen, die nach einigen Augenblicken von den Lippen, die sich inzwischen zu einem Lächeln geformt haben, aufgefangen werden.
In über 200 Trauer- bzw. Lebensfeiern habe ich diese Beobachtung gemacht. Spätestens wenn ich zu der Stelle komme, in der Tiere eine Rolle spielen, gehen die Mundwinkel nach oben. Die Blicke weiten sich, die Herzen auch.
Warum das so ist? Vermutlich gibt es mehrere Gründe. Einer davon ist sicherlich, dass wir bei einer Trauerfeier mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert werden. Eine unausweichliche, aber oft verdrängte Tatsache tritt zu Tage. Und in eben jenen Momenten, in denen Gewohntes wegbricht, brauchen wir etwas, das uns Halt gibt. Etwas echtes, wahrhaftiges. Wie u.a. die Pandemie gezeigt hat, finden wir eben dies in Tieren. Laut PETA wurden 2020 fast 1,4 Millionen mehr davon angeschafft als zuvor.
Geben ohne zu erwarten, Liebe schenken ohne Bedingung. Tiere sind echte Vorbilder
Tiere beschenken uns reich, ohne etwas dafür zu verlangen. Und dabei spreche ich nicht nur von unseren Haustieren. Auch ein wunderschöner Schmetterling, der unseren Weg kreuzt oder ein Video von süßen Hundewelpen kann uns Momente der Freude bringen. Tiere scheinen einen direkten Zugang zu unseren Herzen zu haben. Sie bereichern unser Leben – und sei es nur für einen winzigen Augenblick – indem sie einfach sind. Mit ihrem bloßen Sein schaffen sie es, uns zum Lächeln zu bringen. Sie forcieren nichts, haben keine Hintergedanken. Nein, sie sind einfach, pur, wahrhaftig.
In einer Welt, die uns stets suggeriert, nicht gut genug zu sein, die uns dazu auffordert, besser zu werden, um Erfolg zu haben, ist diese Einfachheit der Tiere sehr wohltuend.
Mein schönster Ausgleich in meinem oft auch sehr stressigen Alltag sind mein Pferd Dusty und mein Hund Anton. Sie sind essentieller Bestandteil meines Lebens, bereichern und erfüllen es in so vielerlei Hinsicht. Und ich bin in bester Gesellschaft damit.
Knapp 50% aller Deutschen teilen ihr Zuhause mit einem Tier. Eine beeindruckende Zahl wie ich finde. Wobei, wenn man bedenkt, dass unsere Vierbeiner eben nicht nur “Haustiere” sind, sondern auch Seelentröster, treue Weggefährten, hervorragende Zuhörer und für einige sogar die einzige Familie, relativiert sie sich.
Tiere schaffen es, uns bedingungslos zu lieben. Sie bewerten nicht, knüpfen ihre Zuneigung an keine Erwartungen. Ebenso wie andersherum. In den Beziehungen zu unseren Mitmenschen fällt uns das nicht ganz so leicht. Klingt hart, ist aber meist so. Oder schaffen Sie es gänzlich ohne Erwartungshaltung an Ihre Liebsten? Ich für mich kann sagen: Nein, nicht immer. Zwar bemühe ich mich, aber ab und an ertappe ich mich dabei. Doch das Spannende ist: In 25 Jahren mit Dusty und 6 Jahren mit Anton ist mir das noch nie passiert. Noch nie dachte ich: Dusty, wenn wir dieses Turnier gewinnen, dann liebe ich dich noch ein bisschen mehr. Anton, wenn du nun endlich brav an der Leine läufst, bin ich glücklich.
Sei ein Unikat, keine Kopie
Nein, die Liebe, das Glück, die Freude mit und für beide ist ungebremst – ob sie nun das machen, was ich möchte oder eben nicht. Zweiteres kommt bei einem Pony und einem Husky-Wolfshund-Mix übrigens oft vor. Ja, ich liebe die beiden nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Eigenheiten, ihrer Persönlichkeit, ihrem Charakter.
Was mich zu einem weiteren Punkt bringt, bei dem wir uns ein bisschen was von ihnen abschauen.
Wir sollten vielmehr darauf bedacht sein, ein Unikat zu sein in einer Welt voller Kopien. Doch wie oft denken wir, dass wir uns anpassen müssten, um geliebt zu werden. Dabei ist es doch gerade die Echtheit und Authentizität, die jemanden anziehend macht. Meist haben wir vor solchen Menschen das größte Ansehen, da sie eine gesunde Selbstsicherheit ausstrahlen, die uns gut tut (und die wir vielleicht auch gerne hätten.) Ich würde mir für mein Leben jedenfalls auch ab und an ein bisschen mehr Leichtigkeit wünschen. Und eben das machen mir meine beiden Vierbeiner täglich vor.
Ja, Tiere können Vorbild, Pause Knopf im stressigen Alltag und Herzensöffner sein. Allen voran die eigenen. Für mich gibt es nur einen Nachteil, den sie mitbringen. Ihre Zeit auf Erden ist meistens kürzer als unsere. Endet ihr Leben, bleibt das der HalterInnen oft stehen. Ein wichtiger, wesentlicher Bestandteil unseres Daseins fehlt plötzlich. Sie hinterlassen eine Lücke, die kaum zu schließen ist. Auch nicht durch ein neues Tier, was viele TierhalterInnen oft als Rat-SCHLAG zu hören bekommen. “Kauf dir halt einen neuen Hund” “Die Katze war eh alt” “Jetzt sparst du dir die Kosten für den teuren Stall.” Sätze, die im wahrsten Sinne des Wortes ein Schlag sind. Denn oft treffen TierhalterInnen auf Unverständnis bei ihrem Umfeld ob der Trauer um das Tier. Und so kommt zu dem tiefen Schmerz das Gefühl, (mal wieder) nicht richtig zu sein. Eben das Gefühl, das wir mit unserem Tier so gut vergessen konnten.
Tier-Trauerfeier – würdevoll Abschied nehmen vom geliebten, tierischen Begleiter
Auch ich kenne das. Viel zu früh musste ich meinen Hund Arthur mit nur 3,5 Jahren gehen lassen. Damals konnte ich diesen Verlust nicht in Worte fassen. Heute kann ich es. Zum Glück. Denn es gibt kaum etwas Heilsameres, als in einer Tiertrauerfeier über sein verstorbenes Tier zu sprechen. Über seinen Charakter, seine besten Kumpels, den gemeinsamen Lebensweg, sein Leben. Und da ich um die Kraft dieser Wirkung weiß, mache ich dies inzwischen auch für andere BesitzerInnen bei Tiertrauerfeiern. Ich finde Worte, wenn die HalterInnen keine haben. Denn auch das ist unendlich heilsam.
Bei einem Verlust mache ich als Lebensrednerin ohnehin keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Verabschiedet wird sich schließlich von einer geliebten Seele.
All die Tricks und Hilfen, um nicht mit zu weinen, helfen übrigens bei Tiertrauerfeiern meist recht wenig. Ebenso wenig wie bei der Trauerfeier von Maria. An der Stelle mit Shiva sind auch mir Tränen über die Wange gelaufen. Ganz leise und unbemerkt. Dachte ich zumindest. Doch am Ende der Trauerfeier kam Marias Oma zu mir, drückte mich und flüsterte mir ins Ohr. “Danke für diese bewegende Rede und danke für Ihre Tränen. Maria hätte sie gemocht, denn sie liebte Menschen mit großem Herzen.”
Und eben dieses verdanke ich zum großen Teil meinen beiden Tieren.
Isabell Maurer ist ausgebildete und zertifizierte Rednerin, sie begleitet Menschen sowohl bei Hochzeiten und Kinderwillkommensfesten als auch bei Beerdigungen. Sie war die erste Rednerin Deutschlands, die Tiertrauerfeiern angeboten hat. Bei dieser Zeremonie erhalten Trauer, Trost sowie liebevolle Erinnerungen ihren würdigen Platz.
Isabell Maurer & Abbas Schirmohammadi, Tier-Trauerfeier
CD, 70 Min., 15,00 Euro, Healthstyle Media
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