Wenn wir uns selbst und anderen Menschen einigermaßen vertrauen, kommen wir ziemlich weit, und vermutlich leben wir dann ein einigermaßen gutes Leben.
Wir wissen, dass wir in einem bstimmten Bereich mit unserem Tun etwas bewirken können, und fühlen uns ziemlich geborgen mit vertrauten Menschen. Das hilft uns, das alltägliche Auf und Ab zu verarbeiten und nicht zu verzweifeln, wenn Dinge schieflaufen oder wir in Konflikte mit anderen geraten.
In ernsthaften Lebenskrisen – schwere Krankheit, schmerzhafte Trennung, Verlust des Arbeitsplatzes oder der beruflichen Perspektive, der Tod naher Menschen und Ähnliches – kann es sein, dass uns auch eine zuversichtliche Lebenseinstellung, nahe Menschen und unsere vertraute alltägliche Welt nicht wirklich trösten können. Sie sind und bleiben wichtig, doch manchmal verzweifeln wir. Wir fragen uns, was dieses ganze Leben soll. Wenn langjährige Freundschaften und Zweierbeziehungen und scheinbar stabile Lebensverhältnisse zerbrechen, geht uns auf, dass wir das Leben nie völlig in den Griff bekommen werden, auch dann nicht, wenn wir fast alles „richtig“ machen. Was kann uns in solchen Momenten tragen? Meine Mutter und Großmutter konnten noch mit tiefster Zuversicht sagen: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt.“ Es gab Zeiten, da habe ich sie um diese Zuversicht beneidet.
Vertrauen ins Leben – Gottvertrauen
Wenn alle Stricke reißen und der Boden unter unseren Füßen ins Wanken gerät, brauchen wir Vertrauen ins Leben, dann brauchen wir das, was religiöse Menschen Gottvertrauen nennen. Letztlich ist es ziemlich gleichgültig, wie wir das, was uns dann trägt, bezeichnen. Die Menschen haben im Laufe der kulturellen Entwicklung unterschiedliche Bilder und Metaphern gefunden, um das Unfassbare, das uns alle trägt, zu beschreiben. Wir nennen es Gott oder Kosmos, Natur oder Leben. Im indischen Kulturkreis nennen sie es Brahman oder Buddha-Natur und im alten China die unauflösbare Verbindung von Himmel, Erde und Mensch. In den letzten Jahren höre und lese ich häufiger: das, was größer ist als wir.
Drei Dimensionen von Vertrauen
Urvertrauen, Gottvertrauen oder Vertrauen ins Leben
Vertrauen in andere Menschen
Selbstvertrauen oder Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit
Vertrauen hat viele Dimensionen und entsprechend viele Bedeutungsnuancen. Sprachlich verwandt sind „sich trauen“ und „Zutrauen“ und umgangssprachlich „Traute haben“, im Sinne von Selbstvertrauen und Mut. Eine Grundbedeutung ist „treu“, auch „fest und sicher sein, hoffen und glauben“ und „teuer, tapfer, fest“. Manche Sprachforscher sehen eine Verbindung zu Holz und Baum und davon abgeleitet die Bedeutung „fest wie Holz oder wie ein Baum“. Auch der Begriff „Trauung“ für die Heiratszeremonie oder die alten Begriffe „Angetraute, Angetrauter“ für Ehefrau und Ehemann erinnern uns an den Mut, den es braucht, sich einem anderen Menschen „anzuvertrauen“, sich auf andere zu beziehen und zuzulassen, dass andere sich auf uns beziehen.
Worauf beruhen diese unterschiedlichen Arten des Vertrauens und wie entstehen sie? Wie können wir sie stärken?
Die Wortfamilie von Vertrauen hat etwas mit Mut und mit Zuversicht in die eigenen Fähigkeiten zu tun und mit der Hoffnung auf Sicherheit und der Hoffnung auf stabile Beziehungen zu anderen. Das deckt zwei der zentralen Dimensionen von Vertrauen ab: Selbstvertrauen und Vertrauen in andere. Die dritte Dimension – Vertrauen ins Leben oder Urvertrauen, religiöse Menschen nennen es Gottvertrauen – wird, hoffentlich, spürbar, wenn man im Laufe des Lebens schmerzhaft erlebt, dass Selbstvertrauen und Vertrauen in andere Menschen nicht ausreichen.
Vertrauen wiederfinden
Was können erwachsene Menschen tun, die das Vertrauen ins Leben verloren haben? Zunächst entlastet es uns, wenn wir verstehen, dass das kein persönliches Versagen ist, sondern mit den Auswirkungen unserer Umbruchzeit zu tun hat.
Es ist eine große Herausforderung, ja eine Zumutung, als moderner oder postmoderner Mensch wieder Vertrauen ins Leben zu fassen, denn wir können uns nicht auf eine alte Tradition stützen, und auch der so hoch geschätzte Verstand und die Naturwissenschaften können uns keine Gewissheit schenken. Wir sind vielleicht enttäuscht über uns und andere, aber ohne ein gewisses Maß an Selbstvertrauen, dass wir mit der Zeit einen Weg finden können, und ohne andere Menschen können wir solche Lebenskrisen kaum überstehen und wieder neu oder erstmals Vertrauen ins Leben fassen.
Wann haben Sie das letzte Mal über das Wunder der Natur, das Wunder des Lebens gestaunt?
Mich haben seit Mitte, Ende zwanzig immer wieder Menschen inspiriert, die selbst durch Phasen des Zweifels gegangen sind, darunter auch Schriftstellerinnen und Dichter, Musiker und Politikerinnen. Krisenerfahrene Menschen können eine große Stütze sein, vor allem dann, wenn sie nicht in Verzweiflung, Wut und Trauer stecken geblieben sind, sondern wieder einen für sie gangbaren Weg ins Leben hinein gefunden haben.
Tiefes Vertrauen ins Leben kann entstehen, wenn wir die Grenzen unseres Verstandes, die Grenzen von Wissen und Können ahnen und gleichzeitig über die unendliche Vielfalt der Welt staunen.
Sylvia Wetzel ist Publizistin und eine der bekanntesten deutschsprachigen Meditationslehrerinnen. In ihren Büchern, Vorträgen und Kursen integriert sie Erkenntnisse der westlichen Psychologie und Philosophie mit den Einsichten buddhistischer Weisheit.
www.sylvia-wetzel.de
Sylvia Wetzel: Vertrauen – Finden, was mich wirklich trägt
112 Seiten, 8,00 Euro, Scorpio Verlag
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