Wild und stark, unbeugsam und fremd, so stellen wir uns die Maori gern vor. Sie tanzen den furchteinflößenden Kriegstanz Haka, leben in Stammesverbänden und haben seltsame Symbole.
All das stimmt, aber das wäre etwas einseitig betrachtet.
Die Maori Kultur, in ganz Neuseeland sichtbar und spürbar, hat mich von Anfang an unglaublich fasziniert, so dass ich mich auf Spurensuche in Geschichte und Tradition machte. Mein Herz ist tief berührt, wenn ich vor einem Marae (dem Gemeinschaftshaus und Mittelpunkt eines Stammes) stehe und das Muschelhorn zur Begrüßung erklingt. Ich fühle mich hoch geehrt, wenn ein Maori mich mitnimmt in das Flusstal, wo Pounamu, der Grünstein (eine Jadeart), gefunden wird, und dabei alte Mythen und Legenden erzählt.
So habe ich langsam einen winzigen Einblick in eine uralte Kultur erhalten, in die ich als Pakeha (wie Maori die Weißen nennen) niemals ganz eindringen kann, die mich aber im Inneren zutiefst anrührt mit ihrer stolzen Würde und Naturverbundenheit.
Ziemlich weit weg
Neuseeland liegt ziemlich genau auf der anderen Seite der Erdkugel, gegenüber von Europa, noch ein gutes Stück weiter im südlichen Pazifik als Australien. Zwei Inseln im weiten Ozean, kaum beachtet vom Rest der Welt.
Wenn wir in der Erdgeschichte zurückgehen, sehen wir, dass sich dieses kleine Landstück vor rund 80 Millionen Jahren vom Urkontinent Gondwana abspaltete und weit hinaus in den Pazifik driftete. Und so waren die beiden Inseln seit vielen Jahrmillionen völlig isoliert und unbesiedelt, weder Menschen noch Säugetiere lebten dort. Erst etwa um 1300 herum betraten erste Menschenfüße Neuseelands Boden, das damals natürlich noch nicht so hieß. Dieses Jungfräuliche, Frische und Unberührte in der Natur spürt man heute noch.
Wir finden urzeitlich anmutende Bäume, die es nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Riesige Baumfarne leuchten im dichten subtropischen Regenwald. Immer noch aktive Vulkane bilden einen rauen Gegensatz zu den lieblichen Hügeln, zwischen denen klare Flüsse rauschen und Seen glitzern. Gletscher in den südlichen Alpen reichen bis an den Regenwald, noch weiter südlich formen tiefe Fjorde die Landschaft. Manche Neuseeländer sagen, als Gott mit der Erschaffung der Welt fertig war, hatte er ein paar besonders schöne Dinge übrig, die er hübsch zusammenfügte und möglichst weit hinaus in den pazifischen Ozean brachte, damit niemand es so schnell entdecken sollte.
Aotearoa – das Land der langen weißen Wolke
Einer Legende der Maori nach gab es einen wagemutigen pazifischen Entdecker, Kupe, der bereits um 800 herum mit einer Handvoll treuer Gefährten den riesigen Ozean mit seinem Waka (Hochsee taugliches Kanu mit Segel) befuhr. Seine Frau sah die Inseln zuerst am Horizont auftauchen, große weiße Wolken hingen darüber. Sie rief aus: „Schaut, das Land der langen weißen Wolke!“ „Aotearoa“ in der Sprache der Maori.
Kupe segelte wieder zurück zu seinen Heimatinseln und berichtete von dem paradiesischen Land, das er entdeckt hatte. Das Wissen darüber wurde über Generationen weitergegeben, bis sich um 1300 erneut unerschrockene Seefahrer auf den Weg nach Aotearoa machten. Sie blieben dort, denn sie entdeckten, dass es sich dort im Süden des Pazifiks wunderbar leben ließ. Sie fanden eine üppige Vegetation vor mit riesigen Bäumen, vielen Vögeln und Fischen als Nahrung und vor allem mit reichlich klarem Quellwasser. Viele Kanus mit weiteren Familien folgten von verschiedenen Inseln, sie besiedelten das unberührte Land entlang der Küsten und Wasserläufe. Sie alle gemeinsam werden „Maori“ genannt.
Und sie erzählen sich eine andere Geschichte, wie Aotearoa, Neuseeland, entstand.
Eine etwas andere Geschichte
In der dunklen, uranfänglichen Ewigkeit lagen Himmelvater Ranginui und Erdmutter Papatuanuku in inniger Umarmung beieinander. Ranginui und Papatuanuku liebten einander so sehr, dass sie es nicht ertrugen, auch nur einen einzigen Moment getrennt zu sein. Zwischen den beiden, in der Finsternis und Enge, lebten ihre sechs Kinder, das älteste war Tane.
Eines Tages, als Papatuanuku sich bewegte, fiel ein kleiner Lichtstrahl aus ihrer Armbeuge auf ihre Kinder. Diese waren entzückt von dem hellen Glanz und sehnten sich fortan nach Licht. Aber sie konnten die Umarmung ihrer Eltern nicht lockern, so sehr sie sich auch anstrengten. Erst als der starke Tane sich auf den Boden legte, seine Schultern tief in den Körper seiner Mutter grub und seine Beine gegen seinen Vater stemmte, löste sich die Umarmung der Eltern. Tane kümmerte sich nicht um die Rufe von Papatuanuku, sondern drückte die beiden mit all seiner Kraft auseinander, und Licht und Luft kamen auf die Welt. So entstanden Himmel und Erde. Noch heute fallen Ranginuis Tränen als Fruchtbarkeit bringender Regen auf die Erde und sind Zeichen seiner großen Liebe zur Erdmutter.
Obgleich Tane seine Eltern so heftig auseinander gebracht hatte, liebte er beide sehr. Um sie zu trösten, kleidete er seine Mutter in Schönheit, die man sich in der dunklen Welt nicht hatte vorstellen können. Er brachte seine eigenen Kinder, die Bäume, und pflanzte sie auf die Erde. Vögel und Insekten tummelten sich in der Brise, der Ozean plätscherte an Mutter Erde, die wunderschön war.
Wenn ein Maori in den Wald geht, wandert er zwischen seinesgleichen umher, denn die Bäume sind seine Ahnen. Tane ist der Lebensspender, die Bäume sind seine Kinder.
Tane Mahuta, Herr des Waldes
Ein mächtiges Symbol des Waldgottes Tane ist ein gewaltiger Kauri-Baum, der Tane Mahuta genannt wird, Herr des Waldes. (Abb. oben) Er ist einer der ältesten Bäume der Erde. Mit 60 Metern Höhe und einem Leibesumfang von 16 Metern steht er Ehrfurcht gebietend und majestätisch im Wald. Sein Alter wird auf 2000 Jahre geschätzt.
Aus dem Pazifikraum haben die Maori ihre Vorstellungen von der Schöpfung, von Werden und Vergehen, mitgebracht. Das Meer und seine Bewohner spielt eine wichtige Rolle, und so ranken sich viele Mythen und Legenden um den Meeresgott Tangaroa, um Wale, Haie oder kühne Seefahrer. Auch die Natur, insbesondere Flüsse und Berge, sind wichtige Bezugspunkte, die sich in vielen Geschichten widerspiegeln.
Die Pazifikvölker waren hervorragende Navigatoren und Seefahrer, sie lebten mit den Gezeiten und ernährten sich aus dem Meer. Sie deuteten den Zug der Vögel und Fische und lasen den Lauf der Sterne.
Matariki – die Plejaden
Die leuchtenden Sterne, die wir als Plejaden kennen, haben eine besondere Bedeutung im Jahreslauf der Maori. Denn wenn sie im Winter über den Horizont steigen, markieren sie den Beginn des neuen Jahres, der mit Zeremonien und Festen, mit Singen und Tanzen, gefeiert wird.
Es gibt viele Geschichten über Matariki, eine der schönsten ist diese:
Matariki, der helle Stern in der Mitte der Plejaden, ist die Mutter, umgeben von ihren sechs Töchtern. Wenn sie im Winter über den Horizont steigen, bringt jede eine besondere Gabe mit und schenkt sie dem Leben auf der Erde.
Die älteste Tochter verbringt viel Zeit mit Mutter Erde und hilft ihr, die Pflanzen wachsen zu lassen. Sie sorgt dafür, dass die Erde fruchtbar ist und die Pflanzen alles haben, was sie brauchen, um groß und stark zu werden. Sie erinnert die Menschen daran, dass es Zeit ist, ihre eigene innere Stärke wachsen zu lassen.
Die zweitälteste Tochter liebt es zu singen. Mit ihrem Gesang weckt sie die Vögel des Waldes und bringt Freude auf die Welt. Maori lieben Musik und Gesang und pflegen beides in der Gemeinschaft. Die zweite Tochter lehrt die Menschen, ihre Gaben miteinander zu teilen.
Die drittälteste Tochter begleitet ihre Großmutter zu den Gewässern. Sie hilft, dass klares Wasser in den Quellen sprudelt. Ebenso kümmert sie sich um die Kinder des Meeresgottes, die Fische. Sie sorgt dafür, dass Wasser als Nebel aufsteigt, zu Wolken wird und als Regen wiederkommt. So lehrt sie die Menschen, dass alles Gute, das sie schenken, zu ihnen zurückkehrt.
Die beiden nächsten Töchter sind Zwillinge. Sie kümmern sich um die kleinsten Geschöpfe, die Insekten, denn sie wissen, wie wichtig es ist, im Team zu wirken. Gemeinsam vermögen sie, erstaunliche Dinge zu vollbringen. Sie bestäuben die Pflanzen und durchlüften den Boden. Die Zwillinge zeigen den Menschen, miteinander zu arbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen.
Die jüngste Tochter kuschelt sich am liebsten auf den besten Platz auf Mutter Erdes Schoß und genießt deren liebevolle Umarmung. So kommt Mutter Erde nach den kalten Wintermonaten leicht in eine freundliche und empfängliche Stimmung, um neues Leben zu schenken. Die Jüngste lehrt die Menschen, dass eine gute innere Haltung der Schlüssel zum Erfolg ist.
Die Mutter aber sorgt liebevoll für all ihre Töchter. Mit ihrer Unterstützung und Hilfe können alle ihr Bestes geben.
Die Bedeutung der Ahnen
Ein Maori lebt durch seine Ahnen und seine Ahnen leben durch ihn. Die Familie und der Stamm sind das Wichtigste, auch heute noch steht die Gemeinschaft stets an erster Stelle, persönliche Wünsche werden untergeordnet. Entscheidungen treffen die Ältesten, sie beratschlagen solange im Marae, dem Gemeinschaftshaus, bis sie zu einer gemeinsamen Ansicht zum Wohle aller gekommen sind.
Die Kultur und die Traditionen der Maori sind einzigartig auf der Welt. Von ihrer Weltsicht, der Selbstverständlichkeit, mit der sie ein Teil der Natur sind, und von ihrem unerschütterlichen Gemeinschaftssinn können wir eine Menge lernen.
Christiane Schöniger, Herausgeberin des SPIRIT live & Schirner Magazins, Messe- und Veranstaltungsorganisatorin, hat zwei erwachsene Söhne und lebt im schönen Odenwald.
Sie hat sich nach vielen Jahren den Traum vom Reisen und Fotografieren erfüllt. Bei der ersten Reise nach Neuseeland hat sie sich in dieses wundervolle Land verliebt und war von der lebendigen Kultur der Maori fasziniert.
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