„August 2020. Mit dem Fahrrad geht es zu einem meiner Ritualplätze – eine Wiese mit einem markanten Eichenbaum in der Mitte. Direkt neben den Baum lege ich mit verschieden großen Steinen und einigen Ästchen eine sogenannte „Sterbehütte“ aus, eine ca. acht Quadratmeter große abgegrenzte Fläche am Boden, die dann als Ritualraum, als eine Art von „Hütte“ ohne Dach, gilt. Vor dem Baum mache ich mir nochmals die Intention klar, weswegen ich gleich anschließend dieses schamanische Ritual durchführen werde: Es geht mir heute darum, meine seit langem blockierte Beziehung zu meinem vor sieben Jahren verstorbenen Vater endlich doch noch zu klären und zu heilen.
Denn noch immer hege ich Groll in mir gegen ihn, weil ich mich von ihm nie wirklich anerkannt und deshalb um den Vatersegen betrogen fühle. Mittlerweile weiß ich ganz tief in mir, dass ein Mann nie wirklich gut in seine Kraft und in sein eigenes Leben kommen kann, wenn sein Vater nicht mit seiner wohlwollenden Energie hinter ihm steht.“ (soweit der Bericht von Martin, 56 Jahre)
Der Ritualraum der Sterbehütte bietet wertvolle Hilfe bei existentiellen Konflikten und Krisen
Die US-Amerikaner Steven Foster und seine Frau Meredith Little stießen bereits Anfang der 1980er Jahre auf interessante Rituale, als sie als Sozialarbeiter und Psychologen einige Indianerstämme in ihren Reservaten betreuten. Um erwachsen werden zu können, mussten vor allem die Jungen für einige Tage allein, fastend und ohne Zelt in die wilde Natur gehen, ganz auf sich selbst gestellt. Nach ihrer Rückkehr wurden sie bei einem Stammesfest als nun junge Erwachsene begrüßt, weil sie diese Mutprobe des Alleinseins und der Selbstkonfrontation überstanden und bewältigt hatten.
Foster und Little wurde bald bewusst, dass sie bei diesen Übergangsritualen auf eine Goldader der Persönlichkeitsentwicklung gestoßen waren: auf das fundamentale Phänomen der „Initiation“, der Einweihung in die Lebensphase des Erwachsenseins. Aus ihren Erfahrungen mit den Indianerstämmen schufen sie bald das auch für unsere westliche Welt kompatible Ritual der „Vision Quest“ („Visionssuche“): Nach einer mehrtägigen Vorbereitung in der Gruppe geht jeder Teilnehmer für vier Tage und Nächte allein, ohne Essen, ohne Zelt und ohne Smartphone in den Wald und gilt in dieser Zeit als komplett unsichtbar (siehe auch www.schooloflostborders.com).
Ein Teilritual davon ist wiederum die sogenannte „Sterbehütte“. Dabei wird ein Raum mit Ästen und Steinen am Boden markiert, wobei jedoch eine „Tür“ offen gelassen wird. Nun bittet der Heilungssuchende das Universum oder das Göttliche, dass er Kraft und Klarheit bekommt für das anstehende Heilungsritual. Dann überschreitet er ganz bewusst die Markierung am Boden – gleich einer Schwelle – und setzt sich auf der einen Seite der „Hütte“ hin. Bei dem Schritt über diese Bodenschwelle verlässt er seelisch-geistig zugleich die „Realwelt“, also die vor allem rational geprägte Alltagswelt und begibt sich in eine Art „Anderswelt“ – in die rechtshirnige Ebene seines Seins, in der Intuition, Liebe, Imagination, das Magische, das Beziehungshafte, die Seele zu Hause sind.
Nun ruft er die andere Person, mit der er etwas klären will, durch die Tür in seinen Ritualraum, verneigt sich vor ihr und bittet sie dann, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Er kann nun der Person, die noch leben kann oder auch schon gestorben ist, alles sagen, was er vielleicht schon so lange loswerden will, was ihm im Herzen brennt oder auf der Seele liegt. Er kann seine Wut rausschreien, weinen, seinen Schmerz und seine Trauer mitteilen, seine Schuld bekennen oder seinem Gegenüber endlich seine Liebe zeigen – alles im geschützten Ritualraum.
Die Wahrheit kommt ans Licht
Der große Vorteil dieses Rituals liegt darin, dass nun die Wahrheit ans Licht kommt, alles, wirklich alles ausgesprochen werden kann, nicht mehr um den heißen Brei herumgeredet wird, es also sofort, ohne Umschweife und ohne falsche Höflichkeiten zur Sache geht. Endlich, könnte man sagen…
Die andere Person muss nun zuhören, vielleicht zum ersten Mal. Der Heilungssuchende kann jetzt alles „rauslassen“, was schon längst gesagt oder geklärt hätte werden müssen. Das Universum ist immer auf Seite des „Veranstalters“, wenn er nur ehrlich ist und reinen Herzens um Frieden, Heilung, Lösung bittet. Zum Schluss, wenn alles ausgesprochen ist, verneigt er sich nochmals und bittet die andere Person, seine Hütte wieder zu verlassen.
Ich habe dieses Ritual schon oftmals selbst durchgeführt, es hat jedes Mal geklappt, das heißt, die von mir gewünschten Personen sind tatsächlich „erschienen“. Entweder habe ich sie tatsächlich vor meinem inneren Auge „gesehen“ oder zumindest ihr Dasein energetisch gespürt. Der Begriff „Sterbehütte“ („death lodge“) hat sich wohl aus zwei Gründen eingebürgert: einmal, weil dabei auch bereits Verstorbene erscheinen können; für die positive Wirkung des Rituals macht das keinen Unterschied. Zum anderen, weil durch dieses Ritual etwaige Konflikte zu anderen Personen endlich gelöst und beendet werden, also „absterben“ können.
Klärung der Vaterbeziehung in der Lebenshütte
Und wie ging es nun mit Martin und seiner „Vater-Geschichte“ weiter? Hier sein Bericht:
„Nach dem Überschreiten der Schwelle in den Ritualraum bitte ich meinen toten Vater herein. Er erscheint sofort höchst lebendig. Ich spreche nun meinen Frust darüber aus, dass ich ein Leben lang seine Liebe und Anerkennung schmerzlich vermisst habe; vor allem dann, als ich seinen Bauernhof verlassen und mit meinem Maschinenbau-Studium begonnen hatte. Und ich beklage auch die Härte, die ich von ihm als Kind und Jugendlicher beständig erleben musste.
Nun geschieht etwas Unerwartetes: Mein Vater, der sehr präsent ist, bittet nun mich um Anerkennung. Er zeigt mir seinen ehrlichen Schmerz, dass ich ihn stets nur kritisiert und seinen Lebenskampf und seine Lebensleistung nie wirklich anerkannt hätte. Denn praktisch aus dem Nichts hatte er nach dem Krieg einen Bauernhof aufgebaut, damals eine sichere und gute Existenz. Ich aber wollte 1975 den Hof nicht übernehmen, sondern Ingenieur werden. Für ihn, meinen Vater, war mein Weggehen damals jedoch ein großer Verlust.
Der Schmerz meines Vaters trifft mich sehr, denn ich spüre viel Wahrheit in seiner Aussage. Und vielleicht zum ersten Mal sage nun ich meinem Vater, dass sein Hof zwar nicht mein Weg war, dass ich aber seine existentielle Leistung voll und ganz anerkenne – wenn auch erst jetzt, sieben Jahre nach seinem Tod. Mein Vater beginnt zu weinen, weil es ihn so berührt, dass ihn sein Sohn endlich doch noch würdigt und versteht. Ich spüre, wie nun all der Groll aus mir herausfließt und verdampft, den ich so viele Jahre lang gegenüber meinem Vater gehegt und mit mir herumgetragen hatte.
Und dann passiert noch einmal etwas Überraschendes: Mein Vater sagt mir, dass er die ganze Zeit sehr stolz auf mich gewesen sei, aber dies nie richtig aussprechen konnte. Nun gibt er mir seinen Vatersegen und sagt mir, dass er immer hinter mir und meinem (anderen) Weg stehen werde. Das alles berührt nun mich im Innersten und ich brauche Zeit, die nun aufbrechenden Gefühle zu verarbeiten. Ich spüre, dass gerade jetzt etwas Grundsätzliches zwischen meinem Vater und mir heilt und in Frieden kommt, und dass ich dabei wie ein Beobachter zuschauen kann, während „es“ geschieht.
Nach einer gewissen Zeit der Stille danke ich meinem Vater für sein Kommen, für seinen Segen und für seine (geistige) Unterstützung. Dann verneige ich mich tief vor ihm und bitte ihn voll Liebe und Respekt aus der Sterbehütte. Etwas später verlasse auch ich ganz bewusst diesen Ritualraum. Ich trete über die Schwelle zurück in die Realwelt und löse die Hütte auf, indem ich wieder alle Äste und Steine beseitige.“
Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung nenne ich dieses Heilritual lieber „Lebenshütte“, weil dadurch negative Energien aufgelöst werden und abfallen, sowie belastete Beziehungen zu anderen Personen endlich entspannt und geheilt werden können.
Ich möchte Mut machen, dieses Ritual durchzuführen. Als Voraussetzungen dafür braucht es neben einem ungestörten Ritualraum „nur“ ein offenes Herz und die klare Intention, was man dabei klären und heilen möchte. Es lohnt in jedem Fall! Eine Hilfestellung etwa durch einen kundigen Berater beim Ritual selbst, sowie eine psychotherapeutische oder ärztliche Gesamt-Begleitung bei einem solch fundamentalen Heilungsprozess kann dabei natürlich sehr hilfreich sein.
Peter Maier
Autor, Lebensberatung, Ahnenarbeit, Heilende Rituale, Initiations-Begleitung. Durch seine langjährige Praxis als Gymnasiallehrer und als Initiations-Mentor ist dem Autor immer klarere geworden, wie wichtig Übergangsrituale für Jugendliche, besonders für Jungen, auch in unserer Gesellschaft sind. Er ist Begleiter für Jugendliche bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung und auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden.
www.initiation-erwachsenwerden.de
www.alternative-heilungswege.de
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