Lange bevor sich die heute bekannten großen Religionen verbreiteten, lebten die Menschen in unseren Breitengraden im Rhythmus der Natur. Ihr Leben orientierte sich an den Zeichen der Natur und sie waren abhängig von dem, was die Natur ihnen bot. Aus dieser Abhängigkeit entstand eine tiefe Verbundenheit mit den Geschenken der Erde, dem Wind, dem Feuer und dem Wasser – und die Jahreskreisfeste.
Jahreskreisfeste verbinden uns mit der Natur
Achtmal im Jahr zelebrierten diese Menschen das, was wir heute keltische und germanische Jahreskreisfeste nennen. Diese Feste beendeten jeweils einen Jahresabschnitt und läuteten den nächsten ein. Die Menschen nahmen bewusst die Stadien der Natur wahr. Auch in unserer heutigen Zeit sind wir mit der Entwicklung im Jahresrad verwoben. In vielen Regionen werden aus dieser Bewusstheit heraus Feste gefeiert und Gedenktage abgehalten, die genau zu den Terminen der keltischen und germanischen Jahreskreisfeste stattfinden. Schwingt dein innerer Zustand im Einklang mit dem Rhythmus der Natur und nimmst du dies bewusst wahr?
Bei unseren Vorfahren endete das Kalenderjahr mit dem 31. Oktober und die dunkle Zeit des Rückzugs begann. Die Wechsel der Zeiten wurden nach dem jeweiligen Vollmond und Neumond definiert. Die besonderen Zeitqualitäten zeigten sich durch eine langsam ansteigende Welle bis zum Höhepunkt, um dann wieder abzuflauen für den nächsten Zeitabschnitt. Zur sogenannten Hoch-Zeit der Schwingung wurde ein Fest oder eine Zeremonie gefeiert. Diese Schwellendaten wurden bewusst begangen und der Umgang mit den unterstützenden Kräften zeigte unseren Vorfahren, worauf sie achten und woran sie sich orientieren sollten.
Die Jahreskreisfeste beginnen Ende Oktober
Beginnend mit dem Fest Samhain am 31. Oktober beginnt der bewusste Rückzug in die dunkle Jahreszeit. Diese Zeit läutet das neue Jahr ein. Wir erinnern uns unserer Ahnen und danken ihnen für das, was wir von ihnen überlassen bekamen. Diese Ahnen schafften die Basis für unser Leben. Die Grenzen zur Anderswelt sind dünn in dieser Zeit und der Kontakt zu den Wesen aus dieser Sphäre und dem Geist der Ahnen ist leichter herzustellen als zu anderen Zeiten.
Samhain
Samhain ist die Zeit, zu der sich die Natur zurückzieht. Alles, was lebt, reduziert sich auf ein Minimum, zieht sich zurück in das Erdreich, in den Schoß von Mutter Erde. Die Zeit der Ernte und Fülle ist vorbei. Nun ist man auf das angewiesen, was man bis dahin beschafft hat, um die dunkle Zeit zu überstehen. Die Zugvögel sind ins Winterquartier verschwunden, die Tiere beginnen den Winterschlaf, es wird still draußen. Tag für Tag wird es dunkler. Es ist die Zeit, in der wir viel intensiver mit unserem Unterbewusstsein verbunden sind. Wir haben mehr Sinn für Mußestunden im Kreis der Familie, auf warme Getränke und Gebäck bei einem guten Buch und Kerzenlicht. Es ist mehr die Zeit des Nachdenkens über das vergangene Jahr und den jetzigen Zustand. Wir sind intensiver mit unserem Inneren, unserer inneren Stimme verbunden.
Wintersonnenwende
Wieder heller und lebendiger wird es ab der Wintersonnenwende am 21. Dezember, in der Nacht des kürzesten Tages und der längsten Nacht. Manchmal wird diese Zeit wie ein dunkler Umhang empfunden, der alles dämpft. Oft haben wir das Gefühl, die wenigen hellen Stunden des Tages gar nicht wahrzunehmen. Wir sehnen uns nach Licht und Helligkeit und zählen die Tage bis zum Yule-Fest, der Wiedergeburt des Lichtes. Heute messen wir die Tage mit Hilfe des Adventskalenders. Um ein kleines Stück Licht schon genießen zu können, zünden wir am Ende einer jeden Woche eine Kerze im Adventskranz an. Das Licht wird neu geboren.
In dieser Nacht hält die Welt den Atem an – und wir mit ihr. Wir blicken auf das Jahr und nehmen Abschied von dem, was alt ist und nicht mehr zu uns gehört. Dies wird in der Dunkelheit zurückbleiben. Wie der Keim in der Erde, der beschützt und umsorgt auf die Wärme der Sonne wartet, so verharren auch wir. Jeder Mensch wusste, dass alle Pflanzen und auch die Bäume eine Seele haben, die nun in der dunklen Zeit besonders tief schläft. Um ihnen nun auch mitzuteilen, dass das Licht neu geboren wurde, ging man hinaus und klopfte ganz sanft an die Stämme der Bäume, befreite sie von Eis und Schnee und brachte ihnen Segenssprüche, um den Schutz gegen das raue Wetter zu verstärken. Dann wurden kleine Säckchen mit Gebäck, Salz und Brot an die Bäume gehängt, um die Baumgeister zu erfreuen, ihnen die Verbundenheit zu bekunden und gleichzeitig um eine gute Ernte im nächsten Jahr zu bitten.
Imbolc
Zu Imbolc um den 1. Februar ist das Licht so weit vorangeschritten, dass das Abendbrot meist schon bei natürlichem Licht eingenommen werden kann. Endlich endet die Zeit, in der wir morgens im Dunkeln das Haus verlassen und abends im Dunkeln heimkommen. Das Licht hat über die Dunkelheit gesiegt.
Imbolc ist das Fest der irischen Göttin Brigid, der Schutzpatronin der Ärzte und Hebammen. Es ist das Fest für die Belange der Frauen, der Familie und des Heimes. Traditionell wurden an diesem Tag die neuen Dienstboten eingestellt, die im Frühjahr und Sommer benötigt wurden. Also auch hier leise beginnende Betriebsamkeit.
Gleichzeitig ist es das Fest der Kerzen. In früheren Jahren wurden in der Winterzeit vor Imbolc die Kerzen der Familie gefertigt und zu Imbolc geweiht. Diesem Wachs wurde hohe Schutzkraft zugeschrieben. Diese Kerzen wurden in Notsituationen, bei Geburten, am Krankenbett oder in Sterbesituationen angezündet, um den Schutz und die Unterstützung der geistigen Welten zu erhalten. In der Imbolc-Nacht wurden ebenfalls die Bienenstöcke gesegnet, in denen das Wachs für die Kerzen entsteht. Die auch heute noch von Kindern mit Kerzen durchgeführten Prozessionen zeigen das Licht und verkörpern die Unschuld des Neubeginns. Imbolc ist ein Fest der Stille -–in der Stille kann man das zarte Licht des Februars am besten erfahren, das sanfte Licht einer Kerzenflamme spricht in der Stille zu unseren Herzen.
Ostara
In der keltischen Tradition kommt nun die Zeit um Ostara, das Fest der britischen Seegöttin Morgana, auch Morgan Le Fay genannt. Rituell ist dieser Feiertag der Königin von Avalon und dem Feenland geweiht. Es ist die Zeit der Elfen, Feen, Zwerge und der Verehrung ihrer Plätze. Die Dolmen, Menhire oder Findlinge, welche als die Wohnstätten des kleinen Volkes angesehen werden, symbolisieren die Verbindung zur Unterwelt, aus welcher zu dieser Zeit die Kraft der Erneuerung wieder aus der Erde steigt und sich mit der Kraft der Sonne verbindet. Es ist die Zeit der Gleichheit, der Fülle der beginnenden Möglichkeiten. Das Licht und das Dunkel sind gleich stark. Mit nun jedem weiteren Tag nimmt die Kraft des Sonnengottes zu, bis er sich zu Beltane mit der Göttin vereint, um neues Leben zu schaffen. Es ist die Zeit des Flirts, des Liebäugelns, Neues wächst zusammen.
Besondere Beachtung wird ebenfalls dem Wasser zuteil als Sinnbild für das neue Leben. In Schottland werden noch heute die Quellen und Brunnen festlich geschmückt und rituell einer Weihe unterzogen.
Beltane – das bekannte Jahreskreisfest
Beltane – oder auch Walpurgis – wird traditionell in der Nacht vom 30.April auf den 1. Mai gefeiert. Es ist das Fest des wiedererwachten Frühlings, an dem Sonne und Erde eine innige Verbindung eingehen – die heilige Hochzeit des Männlichen und Weiblichen. Der Sonnengott, der seit Yule zum geschlechtsreifen Jüngling herangewachsen ist, übernimmt nun wieder die Herrschaft über die Zeit. Die Mondgöttin ist zur fruchtbaren Jungfrau herangewachsen. Mann und Frau, männlich und weiblich sind nun herangereift, um Neues zu schaffen. Die Natur bricht auf, die Sonnenkraft nährt und stärkt. Leichtigkeit greift um sich und die Zeit des Mangels und des Sparens ist vorbei. Nun beginnt wieder die Zeit, wo wir direkt von der Natur versorgt werden und nicht mehr auf das Eingemachte zurückgreifen müssen.
Beltane ist das erste ausschweifende Jahreskreisfest im frischen Jahr. Auch heute wird fast überall „in den Mai getanzt” und die Maikönigin gewählt. Während noch im beginnenden Frühjahr die Liebespaare sanft und mit Distanz liebäugelten, ist Beltane die Zeit, in der diese Liebesbeziehung nach außen bekundet wird. Wer zu Beltane mit seiner Liebsten über das Mai-Feuer springt, gilt als verlobt.
Mittsommer
So wie in der Jul-Nacht, der längsten Nacht des Jahres und Zeit der größten Finsternis die Kraft stark genug ist, das neue Licht zu gebären, so ist am 21. Juni, Mittsommer oder auch Litha genannt, die Kraft stark genug, unsere Wünsche und Pläne für eine gute Ernte zu unterstützen. Jetzt ist der längste Tag und die kürzeste Nacht. Überall finden Feiern zu Ehren des Lichtes statt. Wir genießen die Pause vor der Ernte, die Zeit der Fülle und des Genusses. Das Johanniskraut, welches nun blüht und seine größte Kraft entwickelt, wurde in „Sonnwendgürtel” geflochten – ein uralter Heil- und Schutzzauber. Überall auf den Bergen werden in der Nacht große Feuer entzündet. Man erinnert sich an die Gemeinschaft und den Zusammenhalt und grüßt so die weiter entfernt wohnenden Verbündeten. Die vielen Feuer unterstützen die von nun an wieder schwindende Lichtkraft auf ihrem Höhepunkt und wachstumsfördernde Energie für Pflanzen, Tiere und Menschen wird heraufbeschworen. Es ist alles getan, nun heißt es warten, bis alles erntereif ist.
Lughnasad
Die Hoch-Zeit zum 1. August hat viele Namen: Lughnasad, Lammas, Schnitterfest, Erntefest. Es ist das Fest des Gottes Lugh, des Kornkönigs. Die Getreideernte beginnt und mit dem Schnitt stirbt der Kornkönig und kehrt wieder zurück in das Reich der Finsternis, wo er auf den nächsten Frühling wartet.
Die Nacht siegt über den Tag, die Finsternis über das Licht. In den nächsten Wochen nimmt die Helligkeit ab. Das Korn und die Früchte sind reif, aber noch sind sie nicht „im Trocknen”, noch kann alles durch ein einziges negatives Ereignis verloren gehen.
Aus Kornähren wird eine Kornmuhme gebunden, ein Abbild des scheidenden Kornkönigs, damit wir uns in der dunklen Zeit an ihn und die Wiedergeburt des Lichts erinnern. Die gesammelten Kräuter werden geweiht, auf dass sie in den nächsten Monaten ihre Wirkung behalten, uns Schutz und Unterstützung bringen.
Erntedank
Zum Erntedank am 21. September ist der Großteil der Ernte eingebracht und wir erfreuen uns der Früchte unserer Arbeit. Es wird gedankt und gefeiert. Es ist auch die Zeit der Rückschau, was uns alles auf dem Weg bis hierhin begegnet ist und uns bei diesem Ergebnis unterstützt hat.
Die gleißende Helligkeit der hohen Zeit der Sonne weicht dem goldenen Licht der sich zurückziehenden Sonnenkraft. Die Natur grüßt uns mit ihrer vielfältigen Farbenpracht. Sie zeigt sich noch einmal in der Fülle ihrer Vielfalt. Noch ist der Tag so lang wie die Nacht. Aber im Gegensatz zu Ostara ist es die Dunkelheit, die dieses Tauziehen gewinnt.
Es ist ein letztes Abschiednehmen, ein letzter Gruß, bevor der Herbst mit seinen Stürmen der Natur das Leben aushaucht und wir in die dunkle Jahreszeit eintauchen.
Und der Kreis der Jahreskreisfeste beginnt von vorn.
Antara Reimann, #dieRaunende, schreibt seit Jahren erfolgreich Bücher zu spirituellen Themen. Sie wirkt als Heilerin und Medium. Ihr Wissen gibt sie in Vorträgen auf ihrem Youtube-Kanal @AntaraReimann-dieRaunende sowie in Workshops und Ausbildungen weiter.
erscheint im August:
Antara Reimann: Im Jahreskreis das Leben feiern
192 Seiten, 19,95 Euro
Schirner Verlag
Antara Reimann und Peter Eckel
Der heilige Baumkreis der Kelten
160 Seiten, 17,95 Euro
Schirner Verlag
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