Wenn wir unsere Wurzeln achten, können wir zu innerer Stärke finden
Viele Menschen der Moderne haben ihre Wurzeln aus den Augen verloren und erfahren gerade in dieser von Krisen gebeutelten Zeit eine starke Verunsicherung. Ohne Wurzeln mangelt es an Halt und innerer Sicherheit. Und so werden sie von den Wogen des Lebens hin und her geworfen wie Treibholz. Sie sind orientierungslos und zugleich leicht anfällig für Manipulation und andere Viren des Geistes wie Angst und Verzweiflung. Wie gut wäre es da, könnten wir gerade jetzt in diesen herausfordernden Zeiten auf den Beistand und die Stärken unserer Vorfahren zurückgreifen. Wie das gelingen kann und welche ersten einfachen Schritte hier helfen können, davon will ich hier berichten.
Heute ist uns das Bewusstsein für die Bedeutung der Verbindung mit unseren Ahnen abhanden gekommen. Die meisten Menschen kennen gerade noch ihre Großeltern. Doch darüber hinaus haben sie keine weiteren Kenntnisse über ihre Vorfahren. Früher waren die Ahnen ein wichtiger geistiger Teil der Familie, der Familientradition und Familienkultur. Zur Familie gehörten nicht nur alle Nachfahren des Familienoberhaupts, meist ausgehend vom (Ur-)Großvater, sondern auch mindestens drei Generationen seiner verstorbenen Vorfahren. Die Ahnen lebten in den mündlichen Überlieferungen, schriftlichen Familienchroniken und in den Ahnen-Altären weiter. So gehörte zur Ahnenverehrung auch immer die Fürsorge für den Verstorbenen. Denn die Ahnenverehrung in den alten Traditionen sollte das Gefühl verstärken, dass der Vorfahr mit und bei seinen Nachkommen lebt, und die symbolische Sichtbarmachung diente dazu. Selbst im digitalen Zeitalter findet dies seinen Ausdruck zum Beispiel im Phänomen der Cyber-Friedhöfe.
Verbundenheit mit den Vorfahren
Doch wie finden wir wieder in eine geistig-seelische Verbindung mit unseren Vorfahren und was ändert sich dadurch in unserem Leben?
Hierzu eine kleine Geschichte aus meinem Leben. Es war früh am Morgen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. In endlos scheinenden Serpentinen zog sich die Straße zum Timmelsjoch hinauf. Meine beiden Buben schliefen auf dem Rücksitz und so hatte ich Zeit, meinen Geist schweifen zu lassen. Ich dachte an die Menschen, die diese Passstraße nach dem zweiten Weltkrieg erbaut hatten. Ich versuchte mir vorzustellen, wie mühsam es damals wohl gewesen sein musste. Ich konnte buchstäblich die große körperliche Anstrengung der Arbeiter spüren. Je länger ich in dieser Vorstellung verweilte, desto mehr überkam mich ein tiefes Gefühl der Wertschätzung, denn mir wurde bewusst, dass ich, ohne die Knochenarbeit dieser Menschen, mit meinem Auto hier nicht hochfahren könnte.
Kurze Zeit darauf gab es eine Haltebucht, in der ich für einen Moment parkte. Ich stieg aus dem Auto und die Aussicht verschlug mir fast den Atem. Welch ein erhabener Anblick, welch ein Schöpfungsschauspiel. Die Sonne ging gerade auf und tauchte mit ihren ersten Strahlen die umliegenden Gipfel der majestätischen Berge in ein goldenes Licht. Ich war zutiefst berührt, aus meinem Inneren stieg eine Woge großer Dankbarkeit auf und flutete mein Sein. Mir stiegen Tränen in die Augen und ich war selbst überrascht von dem, was mit mir geschah. Ich fühlte tiefe Dankbarkeit für jene, die vor uns den Weg gegangen und ihn für uns bereitet haben. In einem einzigen Moment fühlte ich all das, was ich vorher gedanklich in meinem Kopf bewegt hatte und ich war zutiefst berührt, fühlte Verbundenheit mit den Vorfahren und mir war sonnenklar: Ohne sie wäre ich heute nicht hier.
Das war vor mehr als zwei Jahrzehnten. Damals wusste ich noch nicht, dass ich auf meinem Weg noch viel tiefer in die Verbindung mit den Ahnen eintauchen und darin sogar meine Berufung entdecken würde.
Wertschätzung und Dankbarkeit für jene, die den Weg für uns bereitet haben
Sobald wir uns wieder bewusst machen, dass all die Annehmlichkeiten, die wir heute vorfinden durch den Schweiß, der Hände Arbeit und den Genius unserer Vorfahren entstanden sind, gelingt es mitzufühlen, ihre Taten und Werke wertzuschätzen und im besten Fall dankbar dafür zu sein.
Wertschätzung und Dankbarkeit sind Qualitäten des Herzens. Indem wir dies unseren Vorfahren gegenüber empfinden, begeben wir uns bereits in eine geistig-seelische Verbindung mit ihnen. Gerade heute haben wir das Privileg, uns von der Loyalität zum Leid unserer Vorfahren zu verabschieden. Und so ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Menschen den inneren Ruf verspüren, ihre Ahnenreihe zu heilen und damit auch ihre Nachkommen vom belastenden Generationen-Erbe zu befreien.
Der Schlüssel zur Freiheit
Diejenigen, die diese Aufgabe übernehmen, begeben sich auf einen spirituellen Weg, der sie wieder mit dem verbindet, was größer ist als die Persönlichkeit. Diese Öffnung hin zur allumfassenden Liebe fließt in alle Strukturen der Familie und der Sippe, und in vielen Fällen beobachten die Menschen, dass sich Gedanken, Gefühle und Einstellung der lebenden Verwandten ebenfalls ändern. Durch die Ahnenarbeit gewinnen wir ein größeres Verständnis und zugleich Mitgefühl für jene, die vor uns da waren. Wir erkennen mitfühlend, dass sie ihr Schicksal zu leben hatten, genau wie wir auch. Jegliche Form von Schuldzuweisung erscheint in diesem Licht als unsinnig und kann somit leichter losgelassen werden. Und hierin liegt der wirkliche Schlüssel in die Freiheit.
Vergebung ist ein wichtiger Schlüssel in der Ahnenarbeit
Indem wir verstehen, dass schmerzhafte Erfahrungen, wie Nöte, Ängste, Schuld, Scham, Hunger und Armut von Generation zu Generation weitergereicht werden, dies aber nicht absichtlich geschah, um andere zu verletzen, können wir uns leichter für Vergebung bereitmachen. Konkret bedeutet das, dass wir aus der Opferrolle aussteigen und die weniger guten Dinge gehen lassen. Groll, Wut und Rache können sich auflösen und Platz machen für die universelle Liebe, die endlich wieder fließen darf.
Frieden mit unseren Ahnen beschert uns Frieden mit uns selbst
So bewirkt die schamanische Ahnenarbeit zum einen ein tieferes Verstehen der eigenen Themen und zum anderen auch ein Erkennen, dass diese angenommen und losgelassen werden können. All das wirkt sich förderlich auf das Bewusstsein der Familie und der Sippe aus und ordnet und heilt deren Strukturen. Zugleich fühlen wir uns wieder liebevoll eingebettet in das Leben, in das größere Ganze.
Vergebung ist ein Akt der Gnade
Damit Vergebung geschehen kann, gilt es im Vorfeld die Verantwortung für die eigenen Gedanken und Gefühle zu einem Thema zu übernehmen. Der nächste Schritt verlangt, sich für Vergebung bereit zu machen und sie sodann zu erbitten. Denn wir können als Mensch nicht vergeben. Vergebung ist vielmehr ein Akt der Gnade, der uns zuteil wird, wenn wir uns aus dem Herzen heraus an die göttliche Kraft wenden und darum bitten. Auch für uns selbst sollten wir um Vergebung bitten, denn oft tragen wir jahrelang unbewusst viel Groll uns selbst gegenüber mit uns herum und behindern auf diese Weise unsere Weiterentwicklung. Indem wir von jeglicher Verurteilung loslassen und stattdessen mit unseren Vorfahren mitfühlen, ihren Beitrag wertschätzen und dafür Dankbarkeit empfinden, bewirkt dies eine umfassende Heilung der Ahnenreihe und zugleich verbindet es uns wieder mit der allumfassenden, bedingungslosen Liebe.
Aussöhnen mit der Herkunft schafft inneren Frieden
Um ganz zu uns selbst zu finden, ist es erforderlich, dass wir mit unserer Herkunft ausgesöhnt sind und die Verbindung mit unseren Vorfahren wertschätzend und dankbar im Geist lebendig halten. Der Friede mit unseren Ahnen beschert uns Frieden mit uns selbst in unserer Innenwelt und so auch den Frieden mit anderen in der Außenwelt. Das eine bedingt das andere. Sobald unsere Wurzeln geklärt und gestärkt sind, finden wir mehr inneren Halt und zugleich verbessert sich unser Stand im Leben, das heißt, die Art wie wir im Leben stehen, wie wir unseren Standpunkt vertreten und uns durchsetzen und behaupten können.
Mit dem Erkennen und Auflösen dieser tief in unseren Zellen gespeicherten, ererbten Lasten, die oftmals von Generationen zu Generationen weiter gegeben worden sind, befreien wir uns selbst und darüber hinaus auch unsere Kinder und Kindeskinder.
Bianka Maria Seidl, spirituelle Mentorin mit schamanischen Wurzeln mit eigener Praxis im Klosterdorf Windberg. Sie unterstützt Menschen in der Lebensmitte dabei, sich vom Ballast der familiären und epigenetischen Konditionierung zu befreien und so den Weg zu ihrem Kern und ihrer Berufung frei zu machen.
Ab Herbst 2022 bietet sie eine Ausbildung in der schamanischen Ahnenarbeit an.
Bianka Maria Seidl, Schamanische Ahnenarbeit
200 Seiten,18,95 Euro, Mankau Verlag
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