Kennst du das? Du betrittst einen Wald, vielleicht deinen Lieblingswald oder einen Wald, in dem du noch nie warst, blickst dich um, genießt das Grün, das dich umgibt, spazierst langsam dahin und ganz plötzlich wird es still in dir und um dich herum. Auch wenn die Vögel munter singen, ein sanfter Wind durch die Blätter rauscht, Insekten summen und irgendwo vielleicht ein Bächlein vor sich hinplätschert, ist es doch irgendwie ganz still. Du kommst zur Ruhe, deine Atmung wird spürbar tiefer. Der Alltag rückt in den Hintergrund, was gerade war, ist nicht mehr ganz so wichtig. Hast du dich schon einmal gefragt, was da im Wald gerade mit dir geschieht?
Der Wald mit seinen vielen Facetten hat eine ganz besondere Wirkung auf uns, auf unser Immunsystem, auf unsere innere Balance und auf unsere Psyche. Kurz gesagt: Der Wald wirkt positiv auf Körper, Geist und Seele und ist damit ein wahrer Jungbrunnen für uns. Was im Wald auf uns wirkt und wie du die Heilkraft des Waldes für dich nutzen kannst, möchte ich dir nun folgend kurz erklären. Als naturverbundener Mensch wird dir vieles davon vielleicht aus persönlicher Erfahrung, gleich ob bewusst oder unbewusst, vertraut sein und so manches aber wird dich mit Sicherheit überraschen, zum Nachdenken oder vielleicht sogar gleich zum Ausprobieren anregen.
Der Wald als Teil unseres Alltags
Als vor ein paar Jahren das Thema „Waldbaden“ in den deutschsprachigen Medien aufkam, stieß es von Anfang an auf großes Interesse in der Bevölkerung. Kein Wunder, verfügen doch gerade Deutschland, Österreich und die Schweiz über sehr große Waldanteile: 31 Prozent der Landesflächen in Deutschland und der Schweiz sind mit Wald bedeckt, in Österreich sind es sogar 48 Prozent. Wir sind also nicht nur von Wald umgeben, der Wald ist vielmehr wichtiger Bestandteil unseres Alltags. Aber was hat es nun mit „Waldbaden“ auf sich? Reicht es nicht einfach in den Wald zu gehen? Braucht unsere moderne Welt schon wieder einen neuen Begriff, um Althergebrachtes zu vermarkten?
Waldbaden – neuer Ansatz oder altes Wissen?
Der Ansatz des Waldbadens stammt aus Asien, vermutlich aus China, wo bereits vor tausenden Jahren Waldbesuche mit einfachen Qi-Gong-ähnlichen Übungen verbunden wurden, um das „Qi“ (auch „Chi“), also die Kraft bzw. Energie des Waldes vertiefend in sich aufzunehmen. Unter Waldbaden versteht man grundsätzlich das bewusste Verweilen im Wald – um sich zu erholen und seine Gesundheit zu stärken. Eine Renaissance erfuhr „Waldbaden“ (jap. „Shinrin Yoku“) aber in den 1980er Jahren in Japan, als das japanische Landwirtschaftsministerium eine Gesundheitskampagne startete, die Shinrin Yoku als effektive Methode zur Gesundheitsförderung und Stressreduktion empfahl. Shinrin Yoku bedeutet übrigens wörtlich übersetzt so viel wie „Eintauchen in die Waldatmosphäre“, wofür sich bei uns der Begriff „Waldbaden“ weitestgehend etabliert hat. „Waldbaden“ ist also keine neue Entdeckung, sondern trifft viel mehr gerade jetzt den Nerv der Zeit.
Am Puls der Zeit
Waldbaden bietet einen wohltuenden Gegenpol zu unserem oft stressreichen Leben: Anstelle der städtischen Hektik bietet der Wald eine ruhige, angenehme Atmosphäre. Die Luft ist nicht verbraucht und voller Abgase, sondern frisch und voller heilsamer Terpene, gleichzeitig rückt der rasante Alltag vollkommen in den Hintergrund – beim Waldbaden gibt es keinen Druck, kein Müssen oder Sollen. Im Wald erlebt der Mensch sich und die Natur in seiner und ihrer Ursprünglichkeit und kann gerade daraus viel neue Kraft für den Alltag schöpfen.Letztendlich tut dieser Umstand nicht nur den Japanern, sondern uns allen gut und deshalb stößt Waldbaden auch hierzulande auf so großes Interesse. Die positive Wirkung des Waldes entfaltet sich bereits bei einem „normalen“ Waldbesuch. Der Unterschied zum Waldbaden besteht darin, dass man die heilsame Wirkung des Waldes mittels einfacher Übungen zu intensivieren versucht.
Wie wirkt der Wald?
Es gibt keine zwei Wälder, die gleich sind. Jeder Wald hat seinen eigenen „Fingerabdruck“. Verständlich, wo doch jede Naturlandschaft durch die verschiedene Zusammenstellung ihrer Pflanzen einzigartig ist. So wirkt auch jeder Wald ein bisschen anders auf uns. Hinzu kommen dabei zudem persönliche Vorlieben, welchen Wald man als besonders schön und angenehm empfindet. Hast du schon einmal überlegt, welcher Wald dir ganz besonders gefällt? Grundsätzlich tut jeder Waldbesuch dem Menschen gut, was an der Summe unterschiedlicher Faktoren liegt. Zu den wichtigsten zählen aber mit Sicherheit die heilsamen Terpene in der schadstofffreien Waldluft sowie die entspannende Waldatmosphäre mit ihren beruhigenden Naturgeräuschen und dem mannigfaltigen Grün.
Kraft tanken und Immunsystem stärken
Wie verschiedene Studien besonders aus Japan zeigen, sind es die Terpene in der Waldluft, die möglicherweise eine bedeutende Wirkung auf unser Immunsystem haben. So soll durch spezifische Terpene nicht nur die Produktion von natürlichen Killerzellen angekurbelt werden, sondern auch die Bildung von Anti-Krebs-Proteinen oder des Herzschutzhormons DHEA. Schon lange nachgewiesen wiederum ist die ausgezeichnete Luftqualitätinnerhalb eines Waldes, ebenfalls ein wesentlicher Faktor zu Gesundheitserhalt und Genesung.
Möchtest du die heilsame Waldluft gezielt nutzen und die heilsamen Terpene deutlich intensiver in dich aufnehmen, kannst du das anhand einfacher Atemübungen tun. Ein wunderbarer Zusatzeffekt: Atemübungen an sich haben bereits eine wertvolle Wirkung in vielerlei Hinsicht. So wirken sie beruhigend auf das zentrale Nervensystem, können Schmerzen und Stress lindern, die Sauerstoffversorgung und Durchblutung steigern, den Stoffwechsel anregen oder beispielsweise auch den Blutdruck senken. Kombinierst du deine Atemübungen noch zusätzlich mit Meditationen, eventuell auch Imaginationen, kannst du das heilsame Ergebnis sogar noch verstärken.
Innere Balance und Stressreduktion
Im Wald wirken auch viele Komponenten auf uns entspannend: Zum Beispiel der angenehme Waldduft, aber auch das „heilsame“ Grün, das beruhigend auf unsere Psyche wirkt und unsere Augen entspannen lässt. Es können die Naturgeräusche sein, die gleichzeitig aktivierend und Stress abbauend wirken. Zudem nehmen viele von uns den Wald als geschützten Raum an sich wahr oder ganz einfach als Erholungsraum, fern der Maßstäbe und Regeln des Alltags. Um die entspannende Wirkung des Waldes zu vertiefen, empfehle ich dir, dich beispielsweise einmal ganz achtsam auf deine Sinneswahrnehmungen zu konzentrieren: Widme dich zu Beginn fünf oder zehn Minuten den vielen verschiedenen Geräuschen, die du hörst. Du kannst auch deine Augen schließen und einmal deine Umgebung nur mit deinen Händen erfühlen. Rieche an unterschiedlichen Hölzern, Nadeln, Laub und Pflanzen und staune über die unterschiedlichen Düfte oder nimm dir Zeit und beobachte, was sich alles am Waldboden tut. Du wirst feststellen, dass der Alltag schnell in den Hintergrund gleitet und du ganz im Moment verweilst und tief in die Waldatmosphäre eintauchst.
Erdung und mentale Stärke
In verschiedensten Studien wurde herausgefunden, dassNaturaufenthalte den Menschen sehr schnell eine gesunde Distanz zum Alltag herstellen lassen. In der Natur verlieren alltägliche Probleme und soziale Maßstäbe an Bedeutung. Hier gibt es keinen Zeitdruck und es spielt keine Rolle, ob man erfolgreich ist oder nicht, ob man alt oder jung, krank oder gesund ist oder welche Gesinnung man hat. Der Wald bietet uns ein heilsames und vollkommen wertfreies Umfeld. Dieses Umfeld kannst du immer, aber eben auch ganz besonders in belastenden Situationen für dich nutzen, um dich zu erden und wieder innere Stärke zu finden. Naturrituale sind auch ein sehr wertvolles Werkzeug zur Bewusstwerdung von besonderen Lebensereignissen, wie Veränderungen und Übergänge. Je bewusster du diese begehst, desto leichter wird es dir fallen, mit ihnen umzugehen. Aber es müssen nicht immer belastende Ereignisse Inhalt eines Rituals sein – auch schönen Begebenheiten sollst du voller Freude deine ganze Aufmerksamkeit schenken und sie feiern!
Ganz im Hier und Jetzt ankommen
In der Natur zählt nur das Hier und Jetzt. Was war, ist vergangen, was kommt, wird kommen. Dieses Wissen trägt die Natur in sich ebenso wie die Hingabe an den unendlich wiederkehrenden Kreislauf des Lebens – und sie vermittelt uns dieses Wissen durch ihren unendlichen Rhythmus, der auch in uns wirkt. Schließlich stammen wir Menschen nicht aus der Stadt, nicht aus künstlichen oder gar virtuellen Welten, sondern wir kommen aus der Natur und so sind wir auf ewig mit ihr verbunden. Wenn du dieses Wissen und den natürlichen Rhythmus für dich nutzt, trägst du einen wahren Schatz in dir: die Natur als deine ureigene Kraftquelle!
Übung:
Waldkraft tanken (10-30 Min.)
Suche dir ein schönes, ungestörtes Plätzchen im Wald. Mache es dir gemütlich, nimm eine lockere, aufrechte Sitzposition ein und schließe die Augen. Atme nun tief ein und aus, sodass sich deine Brust und dein Bauch leicht heben. Werde dir aller Pflanzen und Tiere in diesem Wald bewusst und nimm auch dich als Teil des Waldes wahr. Mit jedem Einatmen stellst du dir nun vor, wie du die Waldluft, die erfüllt ist von heilsamen Terpenen, in dich aufnimmst. Mit jedem Ausatmen gibst du bewusst alles Verbrauchte und Alte an den Waldboden ab. Versuche dir möglichst bildhaft vorzustellen, wie dein Körper mit jedem Einatmen mehr von der heilsamen Waldluft aufnimmt. Du kannst sie dir zum Beispiel als feinen, grünen Nebel vorstellen, der sich langsam von deinen Lungen aus in deinem ganzen Körper ausbreitet. Gehe tiefer in deiner Vorstellung und versuche dir auszumalen, wie du mit jedem Ausatmen alles Verbrauchte an den Waldboden abgibst, wie alle Schlacken in deinem Körper aufgelöst und abtransportiert werden. Zugleich stellst du dir voller Freude vor, wie dich jeder neue Atemzug mit Kraft und Energie erfüllt und ganz mühelos Blockaden in deinem Körper löst, wie jede Zelle deines Körpers zur Gänze mit dieser heilsamen Kraft erfüllt wird. Bleibe in dieser Vorstellung des Aufnehmens und Abgebens, so lange du Lust hast. Bevor du mit der Meditation abschließt und deine Augen öffnest, verweile noch ein paar Momente in der Vorstellung, dass du nun gereinigt von altem Ballast und erfüllt von neuer Energie bist.
Ulli Felber ist selbstständige Werbetexterin, Buchautorin und passionierte Waldbaden-Trainerin. Sie gibt Kurse und Ausbildungen zum Thema Waldbaden in Österreich und auch überall dort, wohin man sie ruft. Mehr über Ulli Felber gibt es auf www.waldwelt.at
Lesetipps:
Ulli Felber
Waldbaden im Jahreskreis, 200 Seiten, 19,95 Euro
Waldbaden – Das kleine Übungshandbuch für den Wald, 96 Seiten, 6,95 Euro
alle: Schirner Verlag
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